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#gesichtzeigen Theresa dem Castillo Campus & Jenny Fritzsche

Eine Gesellschaft entsteht und lebt für uns überhaupt erst durch ihre Unterschiede. Gesellschaft ist ein Überwort für eine große Gruppe verschiedenster Menschen die zusammen darin leben möchten, jeder mit seiner Einzigartigkeit bringt sich gesellig darin ein. So ist der Ansatz, der Grundgedanke, wohl. Eine von uns beiden ist hier in Freiberg geboren und aufgewachsen, die andere durfte in Hannover auf die Welt kommen und groß werden. Bis vor 9 Jahren kannten wir uns nicht und waren beide winzige Stückchen in unserer jeweiligen Gesellschaft. Freiberg und Hannover.

Für mich war in meiner bewussten Kindheit, der schönste Ort in Freiberg die Kinderbibliothek im PI Haus. Kurz nachdem ich meinen eigenen Bücherei Ausweis erhalten hatte, besuchte ich einmal die Woche diesen magischen Ort und fühlte mich geborgen. Ich stöberte durch die Regale und lieh mir mindestens 9 Bücher aus, meistens Detektiv Geschichten von Kindern, wie der „Pizza Bande“. Das geschriebene und gedruckte Wort hat mir ein Tor in eine andere Welt geöffnet, die bunter, wärmer und spannender war, als diese hier. Als ich ein Teenager wurde, wechselte irgendwann der Schauplatz und ich trieb mich gerne im Jugendclub des PI Hauses herum und traf meine Freunde. Wir waren damals schon eine bunte Truppe, Jugendliche aus Freiberg mit Familien aus der ganzen Welt. Darüber nachgedacht jedoch, habe ich nicht viel. Theresas Kindheit in Hannover, war ebenfalls mit der Liebe zu Büchern bestückt und dem alltäglichen Wahnsinn, Freundschaften in einer Großstadt zu pflegen.

Allerdings gab es noch eine entscheidende Sache, die sich bei uns beiden mit dem aufwachsen entwickelte, unsere depressiven Stimmungsschwankungen. Jeder von uns beiden erlebte sie unterschiedlich, sie stellten uns vor die größten Herausforderungen unseres Lebens.
„Hochsensibilität“ trifft es wohl auch ganz gut, es erschwerte uns das alltägliche Leben, wie Schule und Ausbildung enorm, es kostete viel Kraft, sich anzupassen und den Normen eines gesellschaftlichen Miteinanders zu entsprechen. Erst als wir uns 2010 in Hannover kennenlernten und gemeinsam die Ausbildung zur Buchhändlerin anfingen, ging es uns etwas besser. Wir waren noch lange nicht dort, wo wir nun 10 Jahre später sind. Wir fanden uns jedoch und damit jeder einen Menschen, der seine Gefühle und seine Erkrankung verstehen und damit umgehen konnte.
Wir fanden gegenseitig einen Menschen, bei dem wir sein durften, wie wir waren. Wie es Mascha Kaléko eins so schön sagte:

„Man braucht nur eine Insel, allein im weiten Meer,
man braucht nur einen Menschen, den aber braucht man sehr.“

Es machte alles etwas leichter und erschwinglicher, trotzdem war uns beiden klar, welcher Weg noch vor uns lag um gesund und gesellschaftsfähig gut leben zu können. Seit 10 Jahren unterstützten wir uns nun gegenseitig dabei, suchten uns Hilfe in sehr guten Therapien und wurden beide, starke unabhängige Frauen. Es folgte erst mein Umzug zurück in die Heimat und die Geburten meiner beiden Kinder bis dann auch Theresa den Weg nach Freiberg fand und hier seßhaft wurde und ihre Tochter bekam. Beide haben wir nun Familien, sind angekommen, gehen unseren Weg und sind uns unserer Sensibilität nicht mehr als Schwäche sondern als Stärke bewusst.

Dann gab es vor den Wahlen im September einen unschönen Zwischenfall, bei dem Theresa bei einem Spaziergang mit Kinderwagen
„Kanaken-Mama geh nach Hause“ nach gebrüllt wurde. Bei einem gemeinsamen Frühstück an ihrem Geburtstag erzählte sie mir davon und von ihrer Angst, ob ihre Tochter jemals ohne Gefahr zum spielen raus gehen könnte. Schon in der Schwangerschaft, als es in Chemnitz zu diesen Unruhen gekommen war, wussten wir nicht ob es für Theresa sicher gewesen wäre, dort nach Umstandsmode zu suchen. Eigentlich hatten wir das nämlich geplant. Immer wieder also, stießen wir auf unsichtbare Mauern, für die es keine Berechtigung gibt. Es machte uns beide traurig und unsagbar wütend. Wir waren uns immer bewusst gewesen, das es, wenn man in einer Gesellschaft leben wollte, dazu gehört sich anzupassen. Jeder darf individuell so sein, wie er möchte, so lange er allen anderen genau das gleiche Recht einräumt. Denn nur dann gelingt ein „geselliges Schaffen“ wenn wir uns Freiheit, Gleichheit und Akzeptanz zu gestehen. Als ich in Hannover die „Fremde“ war, gab Theresa mir das Gefühl von „Zuhause“ und ich konnte mich integrieren. Die Stadt machte es mir aber ebenso leicht, denn dort war jeder willkommen und wurde stillschweigend aufgenommen, als ein winziges Puzzleteil, eines großen Ganzen.
Ist es wirklich wahr, das unser Freiberg, ihr das nicht bieten kann?
Freiheit, Gleichheit, Akzeptanz? Stillschweigende Annahme, vielleicht sogar ein „Willkommen“?

Das möchten wir nicht glauben und nicht akzeptieren und zeigen daher unser Gesicht für Freiberg, für ein Freiberg für Alle und Jeden. Für ein „geselliges Schaffen“ wie wir das Wort „Gesellschaft“ interpretieren und für ein schönes und sicheres Aufwachsen unserer Kinder. Wer nicht dazu bereit ist, diese Grundbedingungen eines zusammen wachsenden Organismus, wie einer Stadt Freiberg, zu akzeptieren, bleibt ja noch die Möglichkeit eines Einsiedlerlebens in einer Blockhütte irgendwo im Wald. Wenn es ein paar mehr sind, wäre auch eine Kommune denkbar. Nur hier in unserem Freiberg und ebenso in allen Städten und Dörfern dieses Landes, ist es so nicht akzeptabel. Wir sind bunt, wir sind frei, wir sind wunderbar verrückt, wir sind Wir.

Beenden wollen wir unsere Worte mit einem kleinen Song-Zitat von Depeche Mode:
„People are People, so why should it be You and I should get along so awfully“

Theresa dem Castillo Campus und Jenny Fritzsche

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Das ist eine sehr bewegende Geschichte, eine tolle und spannende dazu. Eure gegenseiteige Achtung und Liebe füreinander ist deutlich zu fühlen. Es ist so toll, dass ihr euch gefunden habt und so wichtig, dass ihr euch um euch sorgt und für eure Zukunft und damit auch für die Zukunft unserer Stadt mit würdevollem Umgang aller ihrer Bewohner und Besucher eintreten aber auch „Gesicht zeigt“. Ich wünsche euch von ganzem Herzen alles Liebe, Marion Wittenberger.

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