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#gesichtzeigen Michael Milew

Ich habe lange überlegt, mit welchem Thema ich meine Motivation zur Unterstützung des Netzwerkes „Freiberg für Alle“ beschreibe. Ich könnte das sicher mit meinem bulgarisch-deutschen Migrationshintergrund, meinen DDR-Kindheits-, Wende- und BRD-Reisefreiheitserfahrungen oder mit meiner mehr als 20-jährigen theoretischen und praktischen Erfahrung in Architektur und Städtebau begründen. 

Am treffendsten lässt meine Motivation sich aber in einem Erlebnis am Rande der Baukulturwerkstatt „Öffentliche Räume – Demokratie und Prozesskultur“, die Anfang Juli in Ulm stattfand, beschreiben. Das hat mit einem Zitat von Uta Boockhoff-Gries, der ehemaligen Baudezernentin von Hannover, zu tun. Sie sagte einmal: „Die Schönheit einer Stadt hat damit zu tun, wie die Bürger einer Stadt sie sich aneignen können.“ 

Was war geschehen: Nach einem thematischen Stadtrundgang und anschließenden Begrüßungsworten und Vorträgen im Stadthaus war noch ein Empfang organisiert. Natürlich kann man sich da wunderbar mit anderen Teilnehmer und Fachleuten zum Thema austauschen. 
Bei einem Glas Wein kam ich dann an einem Tisch mit einem älteren Mann über die Kulturlandschaft Ulms ins Gespräch. Er wusste erstaunlich gut über die aktuellen Termine wie Konzerte, Museumseröffnungen etc. Bescheid. Wie sich im Verlaufe des Gespräches herausstellte wurde er in Jugoslawien, im heutigen Kroatien, geboren und kam mit seiner Mutter nach Deutschland. Den Anlass des Buffets erfuhr er erst von mir, denn er nutzte mit seiner Familie solche Veranstaltungen, um sich für den Tag einfach nur satt zu essen und sich vielleicht noch gut zu unterhalten. Nachdem ich das realisiert habe war ich erst ein wenig verwundert, aber dann verstand ich, dass eine Gesellschaft, wie ich sie mir vorstelle, genau solche Begegnungen interessant und möglich machen sollte. Ich erfuhr Interessantes aus dem Leben von Menschen die ich evtl. für meine weitere Arbeit nutzen kann und er hatte einen Zuhörer für diesen Abend. Er hat sich als Ulmer an diesem Abend diesen temporär öffentlichen Ort einfach angeeignet. 

Was ich aus diesem Erlebnis mitgenommen habe: Wir Architekten können im besten Fall nur die Hardware so gestalten, dass sie für die Zukunft so viel wie möglich Aneignung, in welcher Form auch immer, zulässt – das ist ein wichtiger Aspekt meiner Auffassung von Architektur. Die Software, dass sind die Menschen, die Gesellschaft, die dann diese Hardware mit Leben füllen. Und manchmal sind es Menschen, die man gerade nicht auf dem Schirm hat und die eben dadurch eine weitere Sichtweise auf ein Thema bieten. 

Die Darmstädter Stadtentwicklungsprofessorin Annette Rudolph-Cleff sagte einmal: „Wir werden auch keine Stadt weiterdenken und weiterbauen können, ohne ein Bild von unserer Gesellschaft zu formulieren.“ 
Wenn in der Gesellschaft mit populistischen Methoden gezielt Angst und Ausgrenzung befeuert wird, dann werden in der Folge unter dem Deckmantel der Erhöhung der Sicherheit – denn davon kann es nie genug geben – auch die Kontrolle und die Überwachung im Stadtraum immer weiter zunehmen. Im Umkehrschluss werden die Städte einen immer größeren Teil der Aneignungsfähigkeit für die Menschen und die dafür erforderlichen gesellschaftliche Freiräume und einiges an Qualität und Zukunftspotential verlieren.

Aus diesem Grund muss ein innovatives, lebenswertes und zukunftsfähiges Freiberg ein „Freiberg für Alle“ sein. 

Michael Milew, Architekt in Freiberg

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