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„FRIEDLICHE“ AUFZÜGE? Eine Form von Gewalt

Wann hört Protest auf, „friedlich“ zu sein? Erst wenn Menschen verletzt werden? Oder dann, wenn Scheiben zu Bruch gehen und Autos brennen? Sind von Rechtsextremisten beeinflusste Aufzüge ohne Aufbietung handgreiflicher Gewalt „friedlich“, obgleich sie ihnen dazu dienen, für staats- und demokratiefeindliche Ziele öffentlichen Raum zu gewinnen? Bringen Rechtsextreme, für die Menschenverachtung und Rassismus Programm sind, nicht immer eine Form von Gewalt auf die Straße? Ist es „friedlich“, Polizeibeamte als „Söldner“ und „Milizen“ zu beschimpfen? Man darf das wohl im Rahmen der Meinungsfreiheit. Aber ist es „friedlich“? Ist es noch „friedlich“, gegen Polizeibeamte körperlich anzugehen? Laut Carolin Bachmann (MdB), Dr. Rolf Weigand (MdL) und der AfD Mittelsachsen waren am vergangenen Montag wieder „friedliche Spaziergänger“ in Freiberg unterwegs. So nachzulesen oder nachzuhören auf diversen Online-Kanälen der Partei. In der Freien Presse dagegen las man vom Durchbrechen einer Polizeikette. Bilder im Internet zeigen die Szene: Junge Männer, Getränkedosen in der Hand, stacheln den Aufzug zum Durchbrechen auf. Aggressiv brüllen Sie „Wir sind mehr!“. Dann rennen andere Männer gegen die Beamten an, drängen sie beiseite, fauchen sie an. Ihnen folgt der Rest der Gruppe. Nun gemischte Bevölkerung, wohl Teile der von Frau Bachmann beschriebenen „Mütter, Väter, Tanten, Onkel, Jugendliche, Großeltern“, auch Paare, Hand in Hand; offensichtlich unbeeindruckt davon, dass da eben die Polizei und mit ihr die Autorität des Staates, dass Recht und Ordnung missachtet und in Gestalt der Beamtinnen und Beamten körperlich angegangen worden sind. Eine größere Menge johlt und applaudiert. Ich weigere mich, solches Geschehen „friedlich“ zu nennen. Die montäglichen Aufzüge in Freiberg sind deutlich aggressiver geworden. Nicht die vermeintliche Liebe zur Freiheit, sondern die Verachtung des Staates scheint ein zunehmend einendes Element darzustellen, vermutlich ergänzt durch die verheerende Angst, die von Corona-Leugnern im Netz gegen Impfungen geschürt wird. Da werden Impfungen mit Hinrichtungen verglichen und so der Gewalt weiterer Boden bereitet. Wegen jener massiven Falschinformation und ihrer Folgen sowie wegen tatsächlicher existentieller Sorgen bleibt es notwendig, mit den Menschen, die den Aufzügen folgen, im Gespräch zu bleiben. Über bestimmte Maßnahmen wie die 2-G-Regel im Einzelhandel oder die Impfpflicht für Menschen im Gesundheitswesen kann und muss man demokratisch streiten. Zugleich aber bleibt jeder und jede für sein und ihr Handeln verantwortlich. Spaziergänger gehen nicht auf polizeilich gesperrten Wegen. Wer die Demokratie, die Freiheit und den Frieden liebt, folgt nicht Extremisten und Krawallmachern. Wer dagegen Menschen hinterläuft, die Polizeiketten durchbrechen, macht sich wörtlich wie übertragen zu deren Mitläufer.

Dr. Michael Stahl
Gastbeitrag Freie Presse 10.01.2022