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Hass und Hetze stoppen! Für ein friedliches Miteinander.

Rede von Michael Stahl am 24. Januar 2022 auf dem Obermarkt Freiberg

Unter diesem Motto hat „Freiberg für alle“ heute zu dieser Kundgebung aufgerufen und ich danke Ihnen, dass Sie sich Zeit dafür genommen haben. Unser aller Miteinander wird schon länger durch eine Verrohung der Sprache verletzt. Auch im Streit um die Bewertung der Pandemie und die gegen sie ergriffenen Maßnahmen sind Hassbotschaften an der Tagesordnung: sie betreffen Gruppen, Einzelpersonen und Institutionen.

Im Vorfeld dieser Kundgebungen hatten wir Menschen, von denen wir wissen, dass sie von Hassbotschaften betroffen sind, angefragt, ob wir diese veröffentlichen dürfen. Wir haben uns im Gespräch mit Ihnen letztlich dagegen entschieden, um der Feindseligkeit nicht ungebührlich Raum zu geben. Ein Beispiel soll genügen.

Eine Person, die sich im Netzwerk „Freiberg für alle“ engagiert, erhielt in dieser Woche einen Kommentar in den sozialen Netzwerken. Er eröffnete mit dem Kürzel „R. I. P.“: „Rest in Peace“ – „Ruhe in Frieden.“ Das Kürzel findet sich im anglikanischen Raum auf manchem Grabstein. Man kann es in diesem Zusammenhang als Drohung verstehen. Der Post setzte fort mit den Worten „das Gehirn scheint gestorben zu sein“. Der Hirntod führt zum Tod der ganzen Person. Es folgte eine sarkastische Beileidsbekundung und dann doch die Frage, wie man mit „solchen Kreaturen danach noch weiterleben solle in der Stadt.“ Mit „danach“, das geht aus dem Kontext hervor, ist die Zeit nach der Corona- Pandemie gemeint. Für die Person, die den Post verfasste, ist die Vorstellung, mit Menschen, wie der Person aus unserem Netzwerk, weiter in einer Stadt zu leben, offenbar unmöglich. Sie fordert zum Schluss die „Zwangseinweisung in die Psychiatrie mit solchen Kreaturen“.

Der Post ist zur Anzeige gebracht. Dennoch hat er eine Verletzung ausgelöst. Solche Worte sind Tatworte. Sie machen Menschen fertig. Sie zielen auf Einschüchterung. Sie werden derzeit verstärkt an Menschen gerichtet, die sich für die Einhaltung von Corona-Regeln aussprechen, die die Wirksamkeit von Impfungen bestätigen oder die sich lediglich um die touristische Attraktivität von Freiberg sorgen.

Botschaften wie diese geschehen nicht, indem Menschen von der Maus abrutschen. Aus ihnen spricht Hass als einer Haltung, die auf die Beschädigung oder gar Auslöschung dessen zielt, den oder die man hasst. Hass unterscheidet sich von der Wut. Wut flammt auf und verraucht dann wieder. Hass bleibt und vergiftet das Miteinander.

Kritiker unserer Veranstaltung sagen, indem wir über Hassbotschaften sprechen, die an Menschen gerichtet sind, die sich gegen die sog. „Spaziergänge“ als illegaler Kundgebungen, gegen Verschwörungstheorien oder für Impfungen ausgesprochen haben, würden wir wiederum spalten, da auch sie selbst von solchen Botschaften betroffen seien. Ich nehme durchaus an, dass dem so ist und möchte daher für ein verbales Abrüsten auf allen Seiten werben. Auch wenn dies mit dem eingangs zitierten Beispiel nicht vergleichbar ist, wurden Menschen, die gegen Corona-Maßnahmen auf die Straße gegangen sind, als „Covidioten“ bezeichnet. Menschen, die sich gegen Corona-Impfungen ausgesprochen haben, wurden öffentlich als „asozial“ beschimpft. Das ist keine Sprache, die dem Miteinander dient. Ich verstehe, dass sich Menschen dadurch verletzt fühlen. Wir wollen hier nicht einseitig über Beleidigungen, über Hass und Hetze sprechen. Wir fordern wieder zu mehr Anstand in der Kommunikation mit- und übereinander auf und werben dafür. Wir bitten um Entschuldigung, wo uns das selbst nicht gelungen ist.

Ich weiß auch und wir haben das aus den Medien und persönlichen Gesprächen vernommen, dass sich Menschen durch den Begriff „Corona-Leugner“ diffamiert gefühlt haben. Sie fühlten sich dadurch in einen Zusammenhang mit
„Holocaust-Leugnern“ gestellt, was mir persönlich nie in den Sinn gekommen wäre und was ich auch deutlich zurückweisen möchte. Sprechen wir also von Personen, die das Bestehen einer Pandemie als solche bestreiten oder die Gefahr, die durch die Corona-Pandemie ausgeht, geringer einschätzen als die Mehrzahl der Expertinnen und Experten.

Zugleich bringt mich dieser Punkt zu einem anderen Gedanken. Vom sog. „Spaziergang“ der letzten Woche gibt es ein Video im Netz. Es zeigt Bilder der Proteste und hinterlegt sie mit Charlie Chaplins Rede aus dem Film „Der große Diktator.“ Diese Rede ist in ihrem historischen Zusammenhang gegen den Nationalsozialismus in Deutschland gerichtet. Chaplin fordert dazu auf, gegen den Nationalsozialismus mit allen Mitteln aufzubegehren. Wird diese Rede nun in Zusammenhang gestellt mit den sog. „Spaziergängen“, so werden diese zu einer aufbegehrenden Bewegung gegen eine menschenverachtende Diktatur erklärt. Als solche wird dabei die rechtsstaatliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland verstanden. Solches Vorgehen steht in einem Zusammenhang mit der Verwendung von sog. „Judensternen“ durch impfskeptische Menschen oder einem kürzlich im Netz zu lesendem Kommentar, dass die Wannseekonferenz, die über die sog. Endlösung der Judenfrage entschied, heute wohl die allgemeine Impfpflicht beschließen würde.

All diese Vergleiche sind einerseits sachlich unangemessen, zum anderen verharmlosen sie die nationalsozialistische Herrschaft und deren Verbrechen. In beiden sind sie für unser Zusammenleben zutiefst gefährlich, denn sie beschädigen Demokratie und Rechtsstaat und unterstützen damit jene Kräfte, die beides ablösen wollen.

Gelegentlich redet man hier vom „Diktatursprech“, der von rechtsradikalen und rechtsextremen Parteien seit Jahren gepflegt wird und ihre schärfste rhetorische Waffe darstellt. Die Gleichstellung der Bundesrepublik Deutschland mit dem Nationalsozialismus ist eine Form von Hassbotschaften, die sich gegen ganze Institutionen richtet, und sie zu beschädigen und auszulöschen sucht.

In gleicher Weise, wie die Menschen, die sich an den Spaziergängen beteiligen, sich dagegen wehren, pauschal als Nazis und Rechtsextreme bezeichnet zu werden – was „Freiberg für alle“ nie getan hat – ist einer Gleichstellung der Bundesrepublik Deutschland mit dem Nationalsozialismus oder allgemeiner mit einer Diktatur zu wehren und deutlich zu widersprechen. Allein die lange Debatte um die allgemeine Impfpflicht zeigt, dass wir eben nicht in einem autoritären Staat leben, sondern in einer Demokratie, in der Menschen in Verantwortung versuchen, nach bestem Wissen und Gewissen und in Abwägung aller Rechte und Güter Entscheidungen im Sinne der Allgemeinheit zu treffen. Dabei gibt es auch schwarze Schafe wie in der Maskenaffäre ersichtlich. Dabei wurden auch Fehler gemacht – für mich einer der schwerwiegendsten war das Besuchsverbot für Sterbende am Anfang der Pandemie. Es wäre gut, über Unsicherheit und Fehler auch im politischen Alltag offener zu sprechen. Aber das setzt auch eine Öffentlichkeit voraus, die mit Fehlern und Unsicherheit menschlich umzugehen versteht. Wertschätzende Rede und zwischenmenschliches Verstehen müssen wieder viel stärker unser Miteinander bestimmen.

„Hass und Hetze stoppen. Für ein friedliches Miteinander“. Das soll das Motto an diesem Abend sein. Die Demo wird hier bis gegen 18:30 Uhr stattfinden. Dann werden wir sie offiziell beenden. Nutzen Sie die Zeit zum Gespräch miteinander, zum wertschätzenden Austausch von Positionen oder zum freundschaftlichen Gespräch – mit Maske und Abstand, so wie es in den Auflagen steht.

Wir als „Freiberg für alle“ laden Sie am Freitag, den 28. Januar, von 18:30 Uhr bis 19:00 Uhr hier auf den Obermarkt ein, um der Opfer der Corona-Pandemie im Landkreis Mittelsachsen zu gedenken.

957 Menschen sind bis heute in Mittelsachsen der Pandemie zum Opfer gefallen. Gerechnet auf 100.000 Einwohner sind das mehr als doppelt so viele Menschen wie im Bundesschnitt. Doch die Verstorbenen sind nicht nur eine Zahl, es sind je persönliche Schicksale. Sie alle haben Menschen hinterlassen, die trauern. Sie sind eingeladen, der Verstorbenen für eine halbe Stunde hier auf dem Obermarkt in der Stille zu gedenken. Wir bitten Sie, dazu ein Windlicht, eine Laterne oder eine Grabkerze mitzubringen. Wie hier in Freiberg wird am Freitag auch in anderen Städten wie Bautzen oder Zwönitz mit Kerzen und Stille an die Opfer der Pandemie gedacht werden.

Ich wünsche Ihnen gute Gespräche und im Anschluss einen behüteten Heimweg und wenn Sie das Gefühl haben, in dieser Woche helfen zu wollen oder sich einzubringen, so widersprechen Sie Hassbotschaften, wo immer sie ihnen begegnen, und stehen sie Menschen bei, die davon betroffen sind.
Lassen Sie sich davon aber nicht nach unten ziehen, sondern genießen Sie auch die schönen Seiten des Lebens in unserer Stadt und erzählen sie davon.
Unterstützen Sie die Geschäfte, die unter Umsatzeinbußen leiden. Einzelhandelsgeschäfte brauchen Kundinnen und Kunden, auch wenn es mit Maske und Nachweis beschwerlich ist. Gaststätten, Kino, Bad und Theater brauchen Gäste.

Lassen Sie uns weiterhin zusammenhalten und der Pandemie trotzen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.