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Der Osten, der Westen und die gefährdete Demokratie

Eine neue Mauer verläuft durch Deutschland. Vieles von dem, was nach 1990 schiefgelaufen ist, lässt sich aus Fehlern im Vereinigungsprozess erklären, anderes resultiert aus falschen Erwartungen. Das Ergebnis nach über drei Jahrzehnten ist eine toxische Stimmung, die immer größere Teile der Bevölkerung erfasst – im Osten wie im Westen.

Ein ungewöhnliches Duo
Bodo Ramelow ist einer der prominentesten Politiker der Partei Die Linke, Vizepräsident des Deutschen Bundestages, ehemaliger Ministerpräsident in Thüringen und Vorsitzender der Thüringer Landtagsfraktion. Ilko-Sascha Kowalczuk ist einer der besten Kenner der DDR-Geschichte und ein scharfer Kritiker von Ramelows Partei. Gemeinsam haben sie ein Buch geschrieben, das die Mauern, ja den Hass in unseren deutsch-deutschen Köpfen zu überwinden helfen soll: „Die neue Mauer“.

Bei ihren Buchpräsentationen debattieren sie, meist in lange im Voraus ausverkauften Veranstaltungsorten in ganz Deutschland, schlagkräftig, mit Humor und Esprit über die komplexen Transformationen im Osten, über abgehängte Regionen im Westen, Probleme durch Überalterung und Glück bei Dorffesten.

Was ist die „neue Mauer“?
Vieles von dem, was nach 1990 im Osten schiefgelaufen ist, lässt sich aus Versäumnissen und Fehlern im Vereinigungsprozess erklären. Anderes geht auf überzogene Erwartungen und ein falsches Verständnis von Freiheit zurück. So ist eine toxische Stimmung entstanden, die immer größere Teile der Bevölkerung erfasst – nicht nur im Osten, sondern auch im Westen. Denn die „neue Mauer“ verläuft nicht nur entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze, sondern auch zwischen den Verteidigern der Demokratie und jenen, die sie – gezielt oder leichtfertig – in Gefahr bringen.

Der Zeithistoriker und der Politiker haben sich zusammengesetzt, um nach den Ursachen für den flächendeckenden Wahlsieg der AfD in den neuen Bundesländern und nach den Perspektiven für unsere Demokratie zu fragen. Sie lassen es dabei nicht an deutlichen Worten fehlen und gelangen zu einem sehr differenzierten Bild der deutsch-deutschen Gegenwart.

Stimmen der Autoren
lko-Sascha Kowalczuk:

„Wir diskutieren nichts, was wir nicht alles schon in den 1990er Jahren diskutiert hätten. Nur eine Sache ist hinzugekommen, das ist der Hass. Es existiert in unserem Land, aber nicht nur in unserem Land, aber eben besonders auch in Ostdeutschland ein weit verbreiteter Hass, der so extrem ist, dass er sich medial nicht spiegeln lässt. Er lässt sich auch empirisch nicht wirklich greifen. … Unsere Aufgabe muss darin bestehen, diejenigen, die noch hinter den Werten des Grundgesetzes stehen, zu ermuntern, sich einzumischen, das zu verteidigen, was nötig ist.“

Bodo Ramelow:
„Wir können so nicht weitermachen. Darum sagen wir, lasst uns doch auf die Marktplätze gehen, lasst uns doch eine gesellschaftliche Diskussion führen. Wo wollen wir hin? Was wirklich in unserem Land fehlt, ist im Moment so ein Gefühl, dass die Zukunft gestaltbar ist und die Zukunft nicht negativ ist, sondern die Zukunft positiv sein kann, wenn wir an ihr positiv arbeiten. Wenn wir den ganzen Tag nur darüber lamentieren, die Zukunft ist negativ, dann ist das die selbst erfüllende Prophezeiung. Dann arbeiten wir daran, uns selber in die Depression zu schaffen.“

Kowalczuk und Ramelow plädieren vehement für mehr Debatten in der Öffentlichkeit, über Parteigrenzen hinweg; für mehr Räume und Engagement der Zivilgesellschaft. Ramelow zitiert Seneca: „Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es so schwer.“
All das spricht für einen großartigen Abend und es ist uns eine Freude und Ehre
, Ilko-Sascha Kowalczuk jetzt schon zum 2. Mal innerhalb unserer Reihe „Was bedeutet (uns) Demokratie?“ in Freiberg begrüßen zu können.

Die Gäste
Ilko-Sascha Kowalczuk
, geb. 1967 in Berlin-Friedrichshagen, ist Zeithistoriker für die Geschichte der DDR und des Kommunismus. Von Abitur und Studium in der DDR ausgeschlossen, machte er eine Ausbildung zum Baufacharbeiter und studierte ab 1990 Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin. Er war Mitglied der Enquete-Kommission „Zur Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“, Mitarbeiter der „Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ sowie Projektleiter in der Abteilung Vermittlung und Forschung der Stasi-Unterlagenbehörde. Zu seinen Büchern gehören „Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR“ (2009), „Die Übernahme. Wie Ostdeutschland Teil der Bundesrepublik wurde“ (2019), die zweiteilige Biografie über Walter Ulbricht: „Der deutsche Kommunist“ (2023) und „Der kommunistische Diktator“ (2024). 2024 erschien sein vieldiskutiertes Buch „Freiheitsschock. Eine andere Geschichte Ostdeutschlands von 1989 bis heute“ (alle C.H. Beck). Die FAZ nannte ihn den „Punk unter den deutschen Historikern“.

Bodo Ramelow, geb. 1956 in Osterholz-Scharmbeck, ist Politiker der Partei Die Linke und seit März 2025 Vizepräsident des Deutschen Bundestags. 2014 bis 2024 war er Ministerpräsident in Thüringen. Er war Gewerkschaftssekretär in Mittelhessen, ging 1990 nach Thüringen und war dort bis 1999 Landesvorsitzender der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV). Im selben Jahr trat er in die PDS ein und wurde für diese in den Thüringer Landtag gewählt. Er war zunächst stellvertretender, ab 2001 Vorsitzender der Landtagsfraktion. 2005 bis 2009 war Ramelow stellv. Vorsitzender der Bundestagsfraktion DIE LINKE. Ab Dezember 2014 wurde er der erste Ministerpräsident einer Landesregierung in Deutschland, die von LINKE, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gebildet wurde. Ab März 2020 regierte Ramelow in Thüringen erneut mit einer rot-rot-grünen Koalition, der ersten Minderheitsregierung des Landes. Mit der Bundestagswahl 2025 wurde Ramelow ein zweites Mal in den Bundestag gewählt.

Eintritt frei, Platzreservierung erforderlich unter: http://tickets.freibergfueralle.de oder https://ticket2261.tickethome.at/

Wer sich nicht online anmelden kann, erhält Karten in der Akademischen Buchhandlung, im Café Momo oder im Campus Cafe SIZ auf der Burgstraße.